In and Out the Gender Pail

Rein und raus aus der Gender-Schublade

Abstrakt

Wie in der Gestalttherapie generell geht es auch beim Thema Gender[1] nicht um Erklärungen, sondern um eine Auseinandersetzung, und die Auseinandersetzung mit irgendetwas oder irgendjemandem erfordert Neugier. Für viele von uns ist die Erforschung unseres Verhältnisses zum Thema Gender eine mühsame, chaotische, nicht-lineare, persönliche Anstrengung, bei der es keine Abkürzungen gibt. Es kann keine allgemeine Leitlinie geben, um der fragenden Person die Arbeit zu ersparen, die sie für ihr eigenes Verständnis leisten muss. Ich glaube, dass in unserer gestalttherapeutischen Gemeinschaft ein Teil der Neugierde in Bezug auf das Genderthema fehlt, und wir damit riskieren, ein komplexes Phänomen zu vereinfachen und zu polarisieren. Als Gestalttherapeutin, die zufällig trans ist, lade ich dazu ein, das Thema Gender nicht mehr in der Weise zu problematisieren, als ob es nur die Trans-Gemeinschaft beträfe, sondern es als etwas zu betrachten, das uns alle angeht. Auch wenn das Genderthema für manche Klient*innen figurativer[2] ist als für andere, ist es in unseren Feldern immer präsent. Weil es immer präsent ist, organisiert es entweder unsere Wahrnehmungen aus dem Schatten heraus oder es wird bewusst gehalten, benannt und bearbeitet, um den Kontakt zu vertiefen. Ich werde damit beginnen, die aktuellen Feldbedingungen zu beschreiben, wie ich sie wahrnehme. Ich werde meinen eigenen Weg zu meiner heutigen Identität schildern, um zu veranschaulichen, wie das Genderthema in unsere Nöte und unser Wachstum verwickelt sein kann. Anhand meiner persönlichen Geschichte werde ich die Implikationen für die Theorie der Gestalttherapie aufzeigen, wobei ich die biopsychosozialen und intersektionalen Perspektiven auf das Genderthema erkunde, zwischen Selbst und Geschlechtsidentität unterscheide, auf geschlechtsbezogene Introjekte und Geschlechtssynthese eingehe und ontologische Unsicherheit mit bestimmten Identitäten verbinde. Schließlich weise ich auf pragmatische Implikationen für die klinische Praxis hin, um andere Gestalttherapeut*innen zu unterstützen, da sie unweigerlich mit Klient*innen zu tun haben, für die das Geschlecht figurativ ist.

Schlüsselwörter: Geschlecht/ Gender, Gestalttherapie, Transgender, biopsychosozial, intersektional, Geschechtsidentität, geschlechtsspezifische Introjekte, Geschlechtssynthese, ontologische Unsicherheit

Abstract

In and out the gender pail. Like Gestalt therapy, gender is not to be explained, but to be engaged with, and to engage with anything or anyone requires curiosity. For many of us, exploring our relationship to gender is arduous, messy,

non-linear, personal work with no shortcuts. It can’t be made into generalised statements that would spare the person enquiring from doing the work of their own understanding. I believe some of the curiosity regarding gender is missing in our Gestalt-therapy community and we risk oversimplifying and polarising a complex phenomenon. As a Gestalt therapist who happens to be trans, my invitation is to move away from problematising gender as if it only belonged to the trans community and begin to engage with it as something that concerns us all. Though gender is more figural for some clients than others, it is ever- present in our fields. Because it is always present, it is either organising our perceptions from the shadows, or being consciously held, named and worked with to deepen contact. I will start by describing current field conditions as I perceive them. I will share my own path to my current identity to illustrate how gender can be entangled in our hardships and growth. Using my personal narrative, I will outline implications

for Gestalt therapy theory – exploring biopsychosocial and intersectional lenses to gender, differentiating self from gender identity, touching on gendered introjects and gender synthesis, and linking ontological insecurity with certain identities. Lastly, I point to more pragmatic implications for clinical practice, to support other Gestalt therapists as they will inevitably encounter clients for whom gender is figural.

Keywords: Gender, Gestalt therapy, transgender, biopsychosocial, intersectional, gender identity, gendered introjects, gender synthesis, ontological insecurity


[1] Im Folgenden wird der englische Begriff Gender zum Teil in der Übersetzung belassen, weil er auch in der deutschsprachigen Literatur für das soziale Geschlecht von Personen genutzt wird. (Anm. d. Ü.)

[2] Mit figural oder figurativ ist gestalttherapeutisch gemeint, dass das Thema die Figur, den Vordergrund darstellt. Auch wenn dieser Begriff im Deutschen ungewöhnlich ist, haben wir ihn so belassen. (Anm. d. Ü.)

Hintergrund

38. Jahrgang, Heft 1 / 2024 82

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